Animes haben hierzulande eine bewegte Geschichte erlebt. In diesem Special blicken wir auf die wichtigsten Etappen des Mediums in Deutschland zurück.
Trickfilme waren schon im späten deutschen Kaiserreich und der Weimarer Republik sehr vereinzelt anzutreffen. Ab den 30er-Jahren erfolgte dann ein gewisser Popularitäts- und Produktionsschub, unter anderem von der politischen Führung forciert. Nach dem 2. Weltkrieg gelang gerade den Produktionen aus dem Hause Disney schnell der hiesige Erfolg – der japanische Animationsfilm hingegen konnte erst einige Jahre später in Deutschland Fuß fassen.
Der Startschuss fiel am 16. März 1961 mit dem Spielfilm „Der Zauberer und die Banditen“ (Originaltitel: „Shonen sarutobi Sasuke“) von Toei Animation, der an diesem Tag in den deutschen Kinos anlief. Das Werk war schon 2 Jahre zuvor in Japan entstanden. Durch seinen Erfolg war die Geschichte um den jungen Sasuke, der es mit einer bösen Hexe aufnimmt für den Export prädestiniert.
Zur ersten Animeserie im deutschsprachigen Raum wurde dagegen „Mach Go Go Go“ alias „Speed Racer“, die 1971 hierzulande an den Start ging. Am 18. November flimmerte die erste Episode über die heimischen Mattschirme. Doch während der Titel zum Beispiel in den USA sehr erfolgreich war, setzte die ARD ihn nach nur drei Folgen wieder ab. Grund dafür waren zahlreiche Proteste von Eltern, Pädagogen und Medien. So sprach der Bayerische Rundfunk von einem „Skandal“, die Welt wollte im Anime das „pure Vergnügen einer rohen Totschlägergesinnung“ erkennen. Am extremsten positionierten sich christliche Institutionen, so der Pressedienst Kirche und Fernsehen, der sogar Parallelen zu faschistischen Durchhaltefilmen zog. Im Februar 1973 wurden als Ersatz zum kurzfristig ausgefallenem Regelprogramm zwei weitere Episoden von „Speed Racer“ ausgestrahlt. Nach erneuter öffentlicher Kritik verschwand die Serie aber dann endgültig (zumindest für die nächsten Jahre) aus der TV-Landschaft. Bei all den heute absurd erscheinenden Vorwürfen darf aber nicht vergessen werden, dass schon damals sich längst nicht alle Eltern und Pädagogen den zeitgenössischen Anfeindungen anschlossen.
Dennoch etablierten sich Animes bereits in den 1970er-Jahren im deutschen Fernsehen. Eine wesentliche Bedeutung kommt in diesem Kontext der Reihe „World Masterpiece Theater“ von Nippon Animation zu, die nicht zuletzt aufgrund dem Rückgriff auf Inhalte der europäischen Literatur und Kultur in Deutschland schnell Anklang fand. Adaptiert wurden in diesem Format internationale Buchklassiker und Geschichten. An „World Masterpiece Theater“ arbeiteten unter anderem auch Hayao Miyazaki und Isao Takahata, die späteren Gründer von Studio Ghibli. Ausgangspunkt der Reihe war „Heidi“ („Alps no Shoujo Heidi“, 1974), eine Serie nach einem Roman der Schweizer Schriftstellerin Johanna Spyri, die bei uns 1977 erstmals ausgestrahlt wurde. Der Erfolg veranlasste Nippon Animation (das Studio hieß während der Erstellung von „Heidi“ noch Zuiyo Enterprises) zur Gründung des besagten WMT-Projekts. Weitere bekannte Produktionen dieser Marke sind unter anderem „Niklaas, ein Junge aus Flandern (1975), „Anne mit den roten Haaren“ (1979), „Die Kinder vom Berghof“ (1983), „Sara, die kleine Prinzessin“ (1985), „Eine fröhliche Familie“ (1987) „Peter Pan“ (1989) und „Mrs Jo und ihre fröhliche Familie“ (1993).
Das Animationsstudio versuchte sich in den 70ern auch erstmals an internationalen Kooperationen. In Zusammenarbeit mit dem deutschen ZDF und dem österreichischem ORF entstanden die drei Animes „Wickie und die starken Männer“ (1972), „Biene Maja“ (1975) und „Pinocchio“ (1976). Proteste blieben zwar auch hier nicht vollkommen aus, im Gegensatz zu „Speed Racer“ waren diese nun schon weit verhaltener und alle drei Serien wurden vollständig in Deutschland ausgestrahlt. Infolge der Erfolge dieser und ähnlicher Serien aus Japan wurden immer mehr Animes im deutschsprachigen Raum gezeigt.
Nun gibt es gibt es bekanntlich auch genügend Animes mit einer älteren Zielgruppe als „Biene Maja“ und Co. Das ZDF erkannte deren Potential und zeigte ab dem 27. September 1980 mit „Captain Future“ erstmals einen Anime, der sich nicht überwiegend nur an Kinder richtete. Die Serie war hierzulande recht erfolgreich und baute sich rasch einen eigenen Fankreis auf, woran sicher auch der lokalisierte futuristische Soundtrack von Christian Bruhn seinen Anteil hat. Trotz der exzessiven Zensur geriet aber auch sie in Kritik, sodass nach der Ausstrahlung von „Captain Future“ das Intermezzo derartiger Serien (japanische Kinderserien wurden nach wie vor gezeigt) beim öffentlich Rechtlichen vorerst wieder beendet war.
Doch zum Glück folgte bald eine fundamentale Veränderung der heimischen Fernsehlandschaft: Im Jahr 1984 gingen die ersten Privatfernsehsender an den Start, was einige Jahre zuvor in Deutschland noch illegal war. Gerade solche Sender verhalfen dem Medium Anime zu größerer Popularität und vor allem waren so hierzulande erstmals im größeren Stil japanische Animationsserien für Jugendliche und junge Erwachsene zu sehen. Eine Vorreiterrolle bei der Ausstrahlung von „richtigen“ Animes – „Biene Maja“, „ Wickie und die starken Männer“ und Co. unterschieden sich durch ihre westlichen Inhalte und Elemente doch recht deutlich von den meisten in Japan beliebten Animes – nahm zum Beispiel der Sender Tele5 mit seinem Programmblock „Bim Bam Bino“ ein. Dieser debütierte 1988 zeigte unter anderem Klassiker wie „Saber Rider und die Star Sheriffs“, „Odysseus 31“ oder “Die Königin der 1000 Jahre“. Aufgrund der Auflösung von Tele 5 am 31. Dezember 1992 wanderte „Bim Bam Bino“ zum Kabelkanal (heute Kabel eins), der damals aber exklusiv über die Kabelanschlüsse der Deutschen Bundespost zu empfangen war und es somit vielen Fans nicht mehr möglich war, die Sendungen zu sehen.
Erfreulicherweise ging am 6. März 1993 aber mit RTL 2 ein neuer Kanal auf Sendung, wo viele ehemalige Mitarbeiter und Sendungen von Tele 5 – darunter auch mehrere Animes – ein neues zu Hause fanden. Was anfänglich jedoch noch fehlte, war eine Rahmenfigur und -sendung für das neue Zeichentrickprogramm. Deshalb führte man im September 1993 „Vampy“ ein, quasi das RTL-2 Äquivalent von „Bim Bam Bino“. Unter diesem Namen existierte der Programmblock bis 2001 und brachte viele neue Animes in den deutschsprachigen Raum, darunter „Mila Superstar“ (1993), „Eine fröhliche Familie“ (1994), „Lady Oscar“ (1995), „Die tollen Fußballstars“ (1995), „Z wie Zorro“ (1995), „Die Macht des Zaubersteins“ (1996) oder „Tico – ein toller Freund“ (1998). Zu dieser Zeit waren Animes schon längst nicht mehr aus dem hiesigen Kinder- und Jugendprogramm wegzudenken, der völlige Durchbruch sollte aber erst noch folgen.
Bevor wir dazu kommen möchte ich allerdings noch kurz einen Aspekt ansprechen, den ich in diesem Artikel bisher weitestgehend außen vor gelassen habe: Animespielfilme. Seit dem erwähnten „Der Zauberer und die Banditen“ (1961) kamen bereits mehrere dutzend solcher Produktionen in die deutschen Lichtspielhäuser, am erfolgreichsten waren bis dato die drei gezeigten Pokémon-Filme. Besonders hervorheben möchte ich hierbei zum Einen die beiden Sciencefiction-Werke „Akira“ (1991) und „Ghost in the Shell“ (1997). Denn diese waren auch in Deutschland ein Erfolg, vor allem aber zeigten sie einer breiten Masse, dass Anime eben nicht automatisch mit Kinder- bzw. Jugendunterhaltung gleichzusetzen ist, sondern auch anspruchsvolle und erwachsene Inhalte bedeuten kann. Zweitens soll auch das Studio Ghibli nicht unerwähnt bleiben. Die legendäre Filmeschmiede bereicherte uns mit herausragenden Titeln wie „Mein Nachbar Totoro“, „Prinzessin Mononoke“, „Wie sich der Wind hebt“ und vielen mehr, die zum Teil auch im Kino gezeigt wurden und durch ihren gehaltvollen und zugleich oft märchenhaften Charakter sowie die Zugänglichkeit für alle Altersgruppen brillieren und so schon viele Menschen auch außerhalb von Fankreisen bezaubern konnten. Auch die Filmfachwelt sieht das vielfach ähnlich, weshalb zum Beispiel „Chihiros Reise ins Zauberland“ 2002 mit dem Goldenem Bären ausgezeichnet wurde (und 2003 sogar mit dem Oscar).
Zurück aber zu den Animeserien: Nach „Captain Future“ im Jahr 1980 versuchte sich das ZDF lange Zeit später mal wieder an einer japanischen Produktion abseits des Kinderfernsehens und strahlte von 1994 bis 1995 die erste Staffel des Shōjo-Hits „Sailor Moon“ aus – noch allerdings mit eher mäßiger Resonanz, was sicherlich auch am ungewohnten Sender und der Platzierung im Frühprogramm lag. Nach einer längeren Pause wanderte der Magical-Girl-Titel 1997 schließlich zum jungen Sender RTL II, wo alle 5 Staffel mit beeindruckendem Erfolg ausgestrahlt wurden. 1999 startete der Kanal ein neues Label unter dem Namen „Moon Toon Zone“, bei dem neben Dauerbrenner „Sailor Moon“ auch erstmals „Pokémon“ und „Dragonball“ zu sehen waren. Die große Popularität dieser drei Serien ließen Animes endgültig zu einem wesentlichen Kernbestandteil im Programm des besagten Privatkanals, ja der Jugend- und Popkultur insgesamt werden. Die Quoten waren spektakulär und die Marktanteile in den Relevanzgruppen nicht selten deutlich zweistellig. Zu dieser Zeit entstand auch erstmals in der breiten Öffentlichkeit ein Bewusstsein für das Medium Anime, das nun nicht mehr einfach gemeinsam mit Zeichentrickserien etwa aus der USA kategorisiert wurde, sondern neuerdings als eigenständig samt gesonderter Eigenarten und Inhalte galt. Dies machte sich auch sprachlich bemerkbar, da damals der Begriff „Anime“ weitläufig in Gebrauch kam.
Angefacht durch die Erfolge des Anime-Blocks auf RTL2 nahmen mehr und mehr Sender die japanischen Serien in ihr Programm auf. So begann Vox im Jahr 1999 als erster deutscher Sender Anime für Erwachsende im Spätprogramm auszustrahlen, darunter die Kultserie „Neon Genesis Evangelion“. 2003 sprangen die Musiksender Viva und MTV ebenfalls auf den Zug auf und zeigten ihrerseits Animeserien im Abendprogramm, z.B. „The Vision of Escaflowne“, „Hellsing“ oder „Cowboy Bebop“ .
Aber auch das Animeprogramm auf RTL 2 wurde zügig ausgebaut, schon im 2000 ging beispielsweise „Digimon“ an den Start. Hierbei wurde der Name des Anime-Programms mehrfach gewechselt, auf „Vampy“ folgte 2001 „be-tv“, das schließlich 2004 durch „Pokito“ abgelöst wurde. Beim letztgenannten Rebrand gab es fortan kein Maskottchen mehr, jedoch weiterhin eine moderierte Show, die durch die Sendungen führte. In Sachen Lizenzierungsaktivität reichte niemand RTL 2 das Wasser, insgesamt wurden mehr als 80 Animeserien gezeigt, wobei 2001 mit alleine 11 Anime-Neuaustrahlungen auf dem Sender einen bis heute gültiger Rekord markiert. In diesem Jahr gingen etwa „Dragonball Z“ oder „Jeanne, die Kamikaze-Diebin“ an den Start, ab 2002 ermittelte „Detektiv Conan“ auch in Deutschland, 2003 debütierte „One Piece“ und „Yu-Gi-Oh!“, 2006 schließlich „Naruto“. Ab 2002 forcierte man bei RTL 2 sogar den Start eines eigenen Anime-Free-TV-Kanals, der 2004 auf Sendung gehen sollte. Doch der Amoklauf in Erfurt bedeutete einen gravierenden Einschnitt, da der Sender deshalb vom neuen Anime-Kanal abrückte und auch die Selbstzensur deutlich zunahm. So wurde beispielsweise „Detektiv Conan“ nachträglich geschnitten, ohne dass dafür eine Notwendigkeit (bspw. FSK) bestanden hätte. Die Kausalität erschließt sich mir persönlich nicht so ganz und lässt sich mit der absurden „Killerspiel“-Debatte von damals vergleichen.
Trotzdem war die Beliebtheit von Animes ungebremst, aufgrund dessen sich die rasant wachsende Fangemeinde schon bald nicht mehr allein mit den TV-Ausstrahlungen begnügte. Daher stieg die Nachfrage nach Anime DVDs (vormals VHS) deutlich an, sodass der Markt ab in etwa der Jahrtausendwende einen regelrechten Boom erlebte.
Ein absolute Schlüsselrolle für den allgemeinen Anime-Boom spielte das Internet, das es den Fans ermöglichte, miteinander in Kontakt zu treten, sich über ihr Hobby zu unterhalten, Gemeinschaften zu gründen und sich unlizenzierte Serien und Filme in Form von Fansubs anzusehen (was vorher zwar auch schon möglich, aber ungleich aufwendiger war).
Ab der zweiten Hälfte des Jahrzehnts fand der Boom jedoch ein schleichendes Ende, die Anzahl an Neuausstrahlungen im Fernsehen ging deutlich zurück, Zeitschriften wie Mega Hero und Kids Zone wurden eingestellt und mehrere große Publisher mussten Insolvenz anmelden, darunter OVA Films, ADV Films, Panini Video (alle 2009), Red Planet und Beez Entertainment. Selbst Vorreiter RTL 2 gab sein Animeprogramm auf, es wurde ab 2007 deutlich zurückgeschraubt und flimmerte am 21. April 2013 schließlich letztmalig über die TV-Bildschirme. Anfang der 2010er sah es für den deutschen Animemarkt deshalb recht düster aus, zumindest verglichen mit den Jahren zuvor.
Zum Glück entspannte sich die Situation in der Folgezeit bekanntermaßen wieder deutlich, eine Vielzahl an neuen Publishern wie Peppermint Anime, Film Confect oder jüngst AniMoon erblickten das Licht der Welt. Mittlerweile haben die Verkaufszahlen sogar wieder ein mit alten Erfolgen vergleichbares Niveau erreicht. Auch im Fernsehen erlebten die japanischen Animationsserien ein Comeback, insbesondere beim am 3. September 2013 gestarteten Sender ProSieben MAXX, wo Anime Action und die Anime Night heute kaum noch wegzudenken sind. Der Kanal fährt z.B. mit neuen „One Piece“ Folgen bis heute regelmäßig gute Quoten ein, an die alten Rekorde von RTL 2 vermag er allerdings noch nicht ganz anzuknüpfen. Im Internet ist mit VoD-Portalen wie Clipfish, Netflix, Anime on Demand, Akiba Pass und mehr ein völlig neuer Markt entstanden, der erstmals das völlig legale Streaming solcher Serien und Filme ermöglicht.
Man kann also auf jeden Fall optimistisch in die Zukunft blicken, Animes sind bei uns definitiv wieder im Aufschwung.
Abschließend weiße ich darauf hin, dass dieser Artikel natürlich keinen Anspruch auf absolute Vollständigkeit erhebt. Ich habe, um den Umfang des Textes nicht völlig zu sprengen, nicht jede Serie, jeden Publisher, jeden TV-Sender usw. thematisiert und stattdessen versucht, auf in meinen Augen wesentliche Elemente der Thematik zu fokussieren. Ich hoffe, der kleine Einblick in die deutsche Anime-Geschichte hat euch dennoch gefallen. Konstruktive Kritik in den Kommentaren ist gerne erwünscht!
So, jetzt habt ihr wieder die Möglichkeit, über das Thema des nächsten Specials abzustimmen. Solltet ihr eine interessante Idee haben, die nicht aufgelistet ist, könnt ihr sie natürlich auch in den Kommentaren nennen.
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Quellen: anime-serien.de.tl, codecandies.de, animize.eu, de.emb-japan.go.jp, quotenmeter.de, wikipedia.org, anime2you.de, animefiguren.net, anisearch.de, „Faszination Manga und Anime: Der Erfolgskurs asiatischer Comics und Animationsfilme in Deutschland“ (Diplomarbeit von Michaela Sturm und Melanie Teich), „Japanische Comics in der deutschen Kinder- und Jugendkultur: Die Präsenz, der Einfluss und die pädagogischen Qualitäten von Anime und Manga“ (Masterarbeit von David Werner)